JAHRESKREIS
13. WOCHE - MONTAG
4
Das gebet
der freunde gottes
Abrahams
Herzensgebet.
Die ausgebreiteten Arme des Gekreuzigten.
Beten für die von Gott Entfremdeten.
I. In der
Offenbarung »redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an
wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und
aufzunehmen«1. Die dieser Einladung angemessene Antwort ist der Glaube, der uns
Verstand und Willen Gott unterordnen läßt. Die Heilige Schrift nennt dies
Glaubensgehorsam2. Als Vorbild stellt sie uns Abraham vor Augen. Er gehört zu
jenen alttestamentlichen Vorfahren, deren Glauben der Brief an die Hebräer
preist; sie starben, ohne das Verheißene erlangt zu haben; nur von fern haben
sie es geschaut und gegrüßt und haben bekannt, daß sie Fremde und Gäste auf
Erden sind3. Ihnen war es nicht gegeben, die Nähe Gottes in der Menschwerdung zu
erfahren; doch Jahwe behandelt sie wie enge Freunde und vergibt wegen ihres
Glaubens und ihrer Treue dem Volk viele Verfehlungen. Die Fürbitte dieser
Freunde Gottes gereichte vielen zum Segen.
In der
heutigen Lesung4 ringt Abraham mit Gott, der ihm ein Strafgericht über Sodom und
Gomorra ankündigt. Abraham bestreitet nicht die Schuld und die vielen Sünden der
Bewohner beider Städte, aber er appelliert an Gottes Gerechtigkeit und Erbarmen
mit einer Unverzagtheit, die fast schon befremdet: Vielleicht gibt es fünfzig
Gerechte in der Stadt: Willst du auch sie wegraffen und nicht dem Ort vergeben
wegen der fünfzig Gerechten? Das kannst du doch nicht tun, die Gerechten
zusammen mit den Ruchlosen umbringen. Und Gott antwortet: Wenn ich in Sodom, in
der Stadt, fünfzig Gerechte finde, werde ich ihretwegen dem ganzen Ort vergeben.
Wenn
Abraham dann zu feilschen beginnt, vergißt er nicht, mit wem er spricht. Vor
jedem neuen Anlauf bekräftigt er seine Nichtigkeit: Ich habe es nun einmal
unternommen, mit meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin. Und
darauf: Vielleicht fehlen an den fünfzig Gerechten fünf. Wirst du wegen der fünf
die ganze Stadt vernichten? Jahwe ist bereit, die Städte zu schonen, wenn sich
dort fünfundvierzig befinden. Und wieder ein Bekenntnis - Mein Herr zürne nicht,
wenn ich nur noch einmal das Wort ergreife - und ein neuer Versuch: Vielleicht
finden sich dort nur vierzig? Nur dreißig, (...) nur zwanzig. Der Herr geht auch
auf die letzte Bitte Abrahams ein: Ich werde sie um der zehn willen nicht
vernichten.
Dieses
Gespräch zwischen Gott und Abraham lehrt uns beten. Der Heilige Geist, der die
Heilige Schrift inspiriert hat, hat auch ein solches Beten inspiriert. »Wenn
dogmatisch feststeht, daß der Heilige Geist auch heute noch in der Kirche und in
den Seelen spricht und auf immer neue Weise dasselbe sagt, was er durch die
Propheten in den heiligen Schriften gesagt hat, dann steht auch fest, daß er
heute in der Kirche und in den Seelen betet, wie er in der Bibel zu beten
gelehrt hat. Der Heilige Geist kennt nicht zwei verschiedene Arten des Betens.
Wir müssen also bei der Bibel in die Schule des Betens gehen, um zu lernen, uns
mit dem Geist zu >verständigen<.«5
Das große
Vertrauen und die unglaubliche Kühnheit des Abraham sind faszinierend. »Da ist
nichts von jener Unterwürfigkeit zu bemerken, die die Menschen gewöhnlich mit
dem Wort >Gebet< verbinden.«6 Ein solches Beten, das uns auch bei anderen
Gestalten des Alten Testaments begegnet, ist möglich, »weil im biblischen
Menschen das Bewußtsein, Geschöpf Gottes zu sein, noch vollkommen intakt ist.
Der Mensch der Bibel ist innerlich so von der Majestät und Heiligkeit Gottes
durchdrungen, ihm so total unterworfen, und Gott ist so sehr >Gott< für ihn, daß
auf der Grundlage dieser beruhigenden Tatsache alles gut aufgehoben ist. Die
Erklärung liegt also, kurz gesagt, im Herzen, mit dem diese Menschen beten
(...). Das Herz dieser Menschen und das Herz Gottes sind geradezu miteinander
verschweißt, und niemand kann sie mehr auseinanderbringen. Der Widerstand, die
ängstliche Frage, die Bestürzung, das alles liegt auf der Ebene ihres Verstandes
(denn das Geheimnis des Handelns Gottes bleibt bestehen), aber nicht ihres
Herzens. Die Unterwerfung des Herzens bleibt davon unberührt. Was immer Gott
auch tut, dieser Beter ist stets bereit anzuerkennen, daß er recht hat.«7
II. Gott
war bereit, auf Abrahams Bitten einzugehen und um der Treue von zehn Gerechten
willen die sündigen Städte zu schonen. So viel ist ein heiligmäßiges Leben vor
ihm wert! Die Gebete von Menschen, die wirklich Gottes Freunde sein wollen,
machen den Herrn geneigt, den ihm Entfremdeten zu vergeben.
Diese
göttliche Herablassung gipfelt in der Menschwerdung. Indem der menschgewordene
Gott sich »gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt«8, erfüllt sich die dunkle
alttestamentliche Verheißung, daß der Tod des einen alle rettet: Mein Knecht,
der Gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich (...), weil
er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen l= 8,
erfüllt sich die dunkle alttestamentliche Verheißung, daß der Tod des einen alle
rettet: Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld
auf sich (...), weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die
Verbrecher rechnen ieß.9 Jesus selbst hat den Sinn seines Lebens und seines
Todes im Licht dieser Worte vom Gottesknecht gedeutet.10 Seine Sendung ist zu
dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele11.
Die
Solidarität Christi mit jedem einzelnen Menschen gipfelt im für euch hingegeben
(...), für euch vergossen12 des Letzten Abendmahls. In diesem für ist »das
eigentliche Grundgesetz der christlichen Existenz ausgedrückt. (...) Deshalb
wird im christlichen Hauptsakrament, welches das Zentrum des christlichen
Gottesdienstes bildet, die Existenz Jesu Christi als Existenz >für die vielen< -
>für euch< erläutert, als die offene Existenz, die die Kommunikation aller
untereinander durch die Kommunikation in ihm ermöglicht und schafft. (...) Die
Kirchenväter haben von da her die am Kreuz ausgespannten Arme des Herrn
gedeutet. Sie sehen in ihnen zunächst die Urgestalt der christlichen
Gebetsgeste, der Orantenhaltung, wie sie uns in den Katakombenbildern so
bewegend entgegentritt. Die Arme des Gekreuzigten weisen ihn so als den
Anbetenden aus, aber sie geben zugleich der Anbetung eine neue Dimension, die
das Spezifische christlicher Verherrlichung Gottes ausmacht: Diese geöffneten
Arme sind Ausdruck von Anbetung auch und gerade dadurch, daß sie die völlige
Hingabe an die Menschen ausdrücken, daß sie die Geste der Umarmung, der vollen
und ungeteilten Brüderlichkeit sind.«13
Jesu
Opfer vollendet und überholt alle Opfer: »Kein Mensch, selbst nicht der größte
Heilige, wäre imstande, die Sünden aller Menschen auf sich zu laden und sich als
Opfer für alle darzubringen. Doch kraft der göttlichen Person des Sohnes in
Christus, die über alle menschlichen Personen hinausgeht und sie zugleich
umfängt, und Christus zum Haupt der ganzen Menschheit macht, kann das Opfer
Christi für alle erlösend sein.«14 Dies heißt: für alle Menschen aller Zeiten.
Der
unvergleichliche Wert des Gebetes eines heiligmäßigen Einzelnen wurzelt in der
Liebe Christi, der für uns am Kreuz starb. Sein Opfer ist Gott wohlgefälliger,
als daß die Sünden aller Menschen zusammen sein Mißfallen erregen könnten. Und
in dem Maß, in dem wir unseren Willen mit dem des Herrn identifizieren, eignen
wir uns die Verdienste Christi an. Dabei erwartet der Herr von uns keine
Großtaten, sondern eine entschiedene Treue, die alle Tage des Lebens in eine
Opfergabe verwandelt. Wer es versteht, vertrauensvoll und freundschaftlich wie
Abraham mit Gott zu verkehren, bleibt von den Anfeindungen gegen den Glauben und
die Hoffnung verschont.
»Muß ich
auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil. Weder meine
irdischen Gebrechen noch die Versuchungen des Feindes können mich ängstigen,
(...) denn du bist bei mir.«15
III. Ich
werde sie um der zehn willen nicht vernichten. Alles, was in jenen lasterhaften
Städten an Frevel und Schandtaten, an Neid und Untreue, an Verrat und Gemeinheit
geschah, wäre vor Gott durch heiligmäßige Menschen gleichsam abgegolten worden.
Es hätten zehn Gerechte genügt, um die vielen Sünder zu schonen! Natürlich
dürfen wir dies nicht so pressen, als wäre dem Herrn die Rücksichtslosigkeit des
Bösen gleichgültig, wenn nur einige beten. Aber die Worte an Abraham lassen uns
ahnen, wie wirksam das solidarische Beten sein kann für die, die uns lieb sind
und fern von Gott leben: Familienangehörige, Freunde, Bekannte... Vielleicht
haben einige von ihnen den Glauben niemals richtig kennengelernt oder eine
persönliche Krise nicht verkraftet, oder sie sind durch unglaubwürdige Christen
enttäuscht worden. Unser Gebet kann - dank Gottes Erbarmen - alle diese Menschen
mittragen, ihnen zur Stütze werden.
Das
betende Ringen mit Gott nach der Art Abrahams findet beim Feiern der Eucharistie
seine intensivste Form. Da können wir das Erbarmen Gottes auf die uns
Nahestehenden, die fern von Gott leben, um des einen Gerechten willen, Jesu
Christi, herabflehen. Denn Christus »vereint die Gläubigen mit seiner Person,
seinem Lobpreis und seiner Fürbitte«16 und trägt somit in der heiligen Messe
selbst unsere Gebete vor den Vater. Es ist der Augenblick, dem Herrn zu sagen:
Sieh, Herr, wie dieser Mensch sich trotz allem bemüht, gut zu sein; wie er, der
dich kaum kennt, doch ein wenig deine Art hat, deine Güte, deine Milde. Hilf
ihm! Und dann überlassen wir ihn Jesus, der ihn besser kennt als wir und ihn
mehr liebt als wir.
Gott
überhört niemals das schlichte Gebet aus der Not: das Gebet des Kindes oder
dessen, der wie ein Kind zu werden versucht; das Gebet des Kranken, der sich ihm
überläßt; das Gebet jener, die redlich versuchen, ihm in Hingabe zu folgen.
Dieses Beten hält die Welt zusammen, auch wenn es nach außen verborgen bleibt.
»In der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche lassen sich auffällige Beweise
für ein einzigartiges Handeln Gottes anführen, der immer wieder alle jene in
Erstaunen versetzt, die rein menschliche Erklärungen für die Pläne der Vorsehung
suchen. (...) Zahlreich sind die Fälle, deren gesellschaftliche Bedeutung bis
heute verborgen bleibt: da ist die unermeßliche Schar der Seelen, die ihr Leben
in der Anonymität des Hauses, der Fabrik, des Büros verbracht haben; die sich
betend im Kloster verzehrt haben; die sich im täglichen Martyrium der Krankheit
aufopfern. Es wird die Enthüllung der Parusie kommen und dann wird offenbar
werden, welche entscheidende Rolle sie trotz gegenteiligen äußeren Anscheins im
Ablauf der Weltgeschichte gespielt haben. Auch das wird Grund zur Freude für die
Seligen und deshalb Anlaß zu ewigem Lobpreis des dreimal heiligen Gottes
sein.«17
Wagen wir
es, hin und wieder wie Abraham zu beten: mit Gott feilschend, beharrlich,
hartnäckig, herzlich. Maria - Felix caeli porta, Himmelstor - lege Fürsprache
für uns alle ein, besonders für die uns Nahestehenden, die sich Gott entfremdet
haben: Monstra te esse matrem... Iter para tutum18 - Zeig, daß du Mutter bist,
und ebne ihnen den Weg.
1 II.
Vat. Konz., Konst. Dei Verbum, 2. - 2 vgl. Röm 1,5; 16,26. - 3 Hebr 11,13. - 4
Gen 18,16-33. - 5 R. Cantalamessa, Das Leben in Christus, Graz 1990, S. 201. - 6
ebd. - 7 ebd., S. 203. - 8 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 22. - 9 Jes
53,11-12. - 10 vgl. Mt 20,28; Lk 24,25-27.44-45. - 11 Mk 10,45. - 12 vgl. Lk
22,19-20. - 13 J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, S.
205. - 14 Katechismus der Katholischen Kirche, 616. - 15 J. Escrivá, Im Feuer
der Schmiede, Nr. 194. - 16 Katechismus der Katholischen Kirche, 1361. - 17
Johannes Paul II., Ansprache 11.2.1981. - 18 Hymnus Ave maris stella.